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Interview mit Sandra Bauer-Böhm - Bahnhofsmission Aschaffenburg

„Bahnhofsmissionen sind die Seismographen der gesellschaftlichen Entwicklung“: Interview mit Sandra Bauer-Böhm, Leiterin der Bahnhofsmission in Aschaffenburg: Die Bahnhofsmission, eine der ältesten sozialen Einrichtungen in Aschaffenburg, besteht seit mehr als 100 Jahren. Anfangs als Anlaufstelle für Frauen und Mädchen, und während des nationalsozialistischen Regimes geschlossen, sind ab den 1960er Jahren immer mehr soziale Aufgaben dazugekommen. Träger der Bahnhofsmission ist der katholische Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit IN VIA und das Diakonische Werk Untermain e.V. Geleitet wird die Bahnhofsmission seit zwei Jahren von Sandra Bauer-Böhm. Die 48jährige Diplomsoziologin und Mutter von zwei Kindern kam nach langjähriger Tätigkeit in einer Fachberatungsstelle und im Bildungswesen zur Bahnhofsmission. Im Interview gibt sie einen Einblick sowohl in ihre Arbeit, als auch in die ihrer zahlreichen ehrenamtlichen Mitarbeiter.

Frau Bauer-Böhm, wie viele Mitarbeiter haben Sie?

Ich habe 17 ehrenamtliche Mitarbeiter, wir sind ein gemischtes Team, Männer und Frauen verschiedenen Alters und mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen. Das heißt, die Mitarbeiter kommen aus ganz verschiedenen Berufen, vom Bankkaufmann bis zur Hausfrau und haben ganz unterschiedliche Charaktere. So können sich die Besucher die Person aussuchen, die am besten zu ihnen passt. Durch die Ehrenamtlichen ist eine andere Art der Hilfe möglich, die Gäste haben Ansprechpartner auf gleicher Augenhöhe, die Gespräche haben eher seelsorgerischen Charakter.

Wie viele Mitarbeiter arbeiten immer gleichzeitig?

Wir sind immer doppelt besetzt. Bei Problemfällen bin ich auf Abruf.

Brauchen die ehrenamtlichen Mitarbeiter eine spezielle Ausbildung?

Wir haben hohe Leistungsstandards bei der Ausbildung der ehrenamtlichen Mitarbeiter. Zuerst findet ein Gespräch statt, um die Eignung des potentiellen Mitarbeiters festzustellen, wichtig ist eine hohe Flexibilität und eine grundsätzliche Empathie gegenüber den Menschen. Außerdem gibt es regelmäßige Fortbildungen über formale Dinge und bundesweite Fortbildungen für alle Mitarbeiter der deutschen Bahnhofsmissionen

Ist die Bahnhofsmission immer offen? Wie sind Ihre Öffnungszeiten?

Unsere Öffnungszeiten sind von Mo. bis Fr. von 8 Uhr bis 17 Uhr und samstags von 8 Uhr bis 12 Uhr. Diese Öffnungszeiten gibt es schon ewig. Allerdings gibt es in letzter Zeit Anfragen, ob diese ausgeweitet werden.

Wie finanziert sich die Bahnhofsmission?

Die Bahnhofsmission wird zu fast 80 Prozent über Spenden finanziert. Daneben gibt es einen Zuschuss von der Stadt Aschaffenburg und den Landkreisen Aschaffenburg und Miltenberg. Ohne die Spenden müsste die Bahnhofsmission geschlossen werden. Öffentlichkeitsarbeit ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit: Benefizkonzerte, ein Schafkopfturnier im Bachsaal am 28. November 2014 und verschiedene Kooperationsprojekte u. a. mit der staatlichen Berufsschule für Ernährung, oder das IN VIA- Projekt „Lernen durch Engagement“ bringen viel.

Was kann man sich unter der Bahnhofsmission vorstellen?

Die Bahnhofsmission besteht aus drei Säulen. Erstens die Reisehilfen, wie umsteigen, Hilfe beim Einsteigen in den Zug für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen, Ansprechpartner für allein reisende Kinder. Zweitens, die Bahnhofsmission als Aufenthaltsort, als Anlaufstelle für Menschen, die aus dem sozialen Gefüge herausgefallen sind. Für viele Menschen ist die Bahnhofsmission ein fester Bestandteil ihrer Tagesstruktur. Und drittens die soziale Arbeit. Wir versuchen Problemlagen zu klären und an andere soziale Institutionen zu vermitteln. Die Wohnungslosigkeit ist ein großes Thema, oder wir beobachten, dass jemand zunehmend verwahrlost. Wir sind sehr gut vernetzt. Wir bieten keine Versorgung an, sondern nur Kaffee und ein Schmalzbrot. Unsere Hilfe ist niedrigschwellig, anonym, ohne Voranmeldung und ohne Leistungsforderungen. Hauptsächlich Gespräche sind das, was wir in der Bahnhofsmission erbringen können

Welche Personen suchen die Bahnhofsmission auf?

Reisende und Menschen die ein Problem haben. Wir sind offen für alle, für jeden, der Hilfe braucht. Dieses Jahr wird es voraussichtlich bis zu 13.000 Kontakte geben.

Was ist dabei die Hauptproblematik der Gäste?

Im Moment haben die komplexen Problemlagen zugenommen. Viele Besucher haben nicht nur ein Problem, sondern beispielsweise eine psychische Erkrankung und zusätzlich noch familiäre oder finanzielle Probleme. Die Bahnhofsmission ist für viele Menschen die erste, letzte und tägliche Anlaufstelle. Die Statistik zeigt, dass Armut, psychische Erkrankungen und Frühverrentung zunehmen. Die Bahnhofsmissionen sind die Seismographen der gesellschaftlichen Entwicklung, sie spiegeln die gesellschaftliche Entwicklung wider. Ab dem nächsten Jahr wollen wir noch mehr speziell für psychisch kranke Gäste anbieten, um diesen Menschen noch besser zu helfen. Kunstprojekte sind beispielsweise ein gutes Medium, um Menschen zu helfen ihren Tag besser zu strukturieren. Auch das „Wanderbank“- Projekt fand großen Anklang und soll fortgeführt werden.

Wie kann man sich Ihre Hilfe konkret vorstellen? Wie helfen Sie? Was leisten Sie alles?

Wir nehmen jedes Problem an. Außerdem legen wir Wert auf einen respektvollen Umgang miteinander und versuchen eine Atmosphäre zu schaffen, in der jeder friedlich beieinander sitzen kann.

Was tun Sie, wenn Sie einmal nicht weiterhelfen können?

Bisher konnten wir immer helfen, wenn nicht direkt, vermitteln wir Hilfe und Anlaufstellen. Wenn es um verlorene Fahrkarten geht, können wir immer weiterhelfen, entweder helfen wir eine Karte zu organisieren oder wenn gar nichts mehr geht, geben wir Tipps zu den besten Trampplätzen.

Ersetzen Sie manchmal den Therapeuten?

Nein, auf keinen Fall, wir führen nur seelsorgerische Gespräche. Es ist wichtig für die Gäste eine Wahlmöglichkeit zu haben, zwischen unserer Beratung und einer therapeutischen Behandlung.

Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei Ihnen aus?

Ich habe viele Verwaltungsaufgaben, bin verantwortlich für Öffentlichkeitsarbeit, organisatorische und konzeptionelle Arbeit. Außerdem kümmere ich mich um die Vernetzung mit anderen Einrichtungen. Wir sind in verschiedenen Arbeitskreisen. Die Begleitung von Ehrenamtlichen und die Beratungsgespräche mit den Gästen gehört selbstverständlich auch zu meinen Aufgaben. Ich würde gerne viel öfter hier sein und mehr mit den Menschen arbeiten. Die Arbeit macht sehr viel Spaß, ist sehr vielseitig und kreativ.

Haben Sie Fälle, die sie nachts nicht schlafen lassen?

Es gibt Fälle, die einen beschäftigen. Aber durch Erfahrung und meine Ausbildung kann ich eine professionelle Haltung einnehmen. Wenn ein Gast verstirbt, beschäftigt das uns alle. In der Regel kann ich aber gut abschalten. Was mir mehr Sorgen macht, ist die finanzielle Situation.

Gibt es auch eine Weihnachtsfeier in der Bahnhofsmission?

Ja, wir haben ein Adventsprogramm für unsere Gäste. Wir öffnen an manchen Tagen im Advent schon um 7 Uhr. Es gibt Kreativangebote wie malen und basteln oder es werden besinnliche Texte vorgelesen. Eine unserer ältesten ehrenamtlichen Mitarbeiterin öffnet extra an Heiligabend vormittags, am Abend gibt es dann die Weihnachtsfeier im Martinushaus.

Was wünschen Sie sich für die Bahnhofsmission?

Dass es sie noch lange gibt, weil ich sie für wichtig halte. Dass sie offen bleibt für gesellschaftliche Entwicklungen und dass wir es schaffen, uns mit zu entwickeln. Ich wünsche mir gute Arbeitsbedingungen für die Ehrenamtlichen, und für mich wünsche ich weitere personelle Unterstützung. Ich möchte aber noch anmerken, dass ich bei meinem Arbeitgeber IN VIA beste Bedingungen habe, um Familie und Beruf vereinbaren zu können.

Wie kann man die Bahnhofsmission unterstützen?

Wir freuen uns über jeden, der Lust auf ein Ehrenamt hat. Es gibt also die Möglichkeit der personellen Mitarbeit. Außerdem sind wir immer dankbar für finanzielle Spenden. Das Spendenkonto lautet:

Bahnhofsmission Aschaffenburg
IBAN: DE 71 7955 0000 0000 0085 32
BIC: BYLADEM1ASA
Sparkasse Aschaffenburg-Alzenau

Sachspenden nehmen wir gerne entgegen, jedoch nur nach Anfrage, da unsere Räumlichkeiten begrenzt sind und wir keine Möglichkeit haben, die Dinge zu lagern. Ein großer Teil der finanziellen Spenden fließt in die Fortbildung unserer ehrenamtlichen Mitarbeiter, und den Einkauf von Lebensmitteln wie Brot, Butter, Milch und Wasser. Den Kaffee bekommen wir kostenlos von „Partnerkaffee“ und die Metzgerei Berger versorgt uns kostenlos mit Schmalz für die Brote. Wir würden uns wünschen, wenn die finanzielle Basis für eine weitere hauptamtliche Kraft geschaffen werden könnte.

Liebe Frau Bauer-Böhm, vielen Dank für das interessante Interview. // Interview: Christiane Schmidt-Rüppel
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