Interview mit Harry Kimmich - Gründer und Vorsitzender des Vereins Grenzenlos
„Wir können die Welt nicht verändern, aber unsere Stadt“. Dies ist das Motto des 1998 von Harry Kimmich gegründeten Vereins Grenzenlos. Wir haben den Aschaffenburger Gastronom und Träger des Bundesverdienstkreuzes im Restaurant Jedermann zum Gespräch getroffen.
Herr Kimmich, wann haben Sie Grenzenlos gegründet?
Den Verein Grenzenlos gibt es seit 1998, dieses Jahr werden es 16 Jahre.
Warum haben Sie Grenzenlos gegründet? Gab es einen Anlass?
Mir ist schon lange vor Gründung des Vereins aufgefallen, dass unsere Gesellschaft immer mehr auseinanderdriftet und dass die Diskrepanz zwischen arm und reich immer größer wird. 1996 besuchte ich in der Frankfurter Paulskirche ein Benefizkonzert des bekannten Cellisten Thomas Beckmann, der im gleichen Jahr den Verein „gemeinsam gegen Kälte“ gründete. Zu diesem Konzert hatten Obdachlose freien Eintritt, nur die besser betuchten Frankfurter Bürger zahlten. Drei Monate später, an Heiligabend 1996 hatte ich die Idee, den „Fegerer“ für obdachlose Bürger zu öffnen, und habe ein kostenloses Festessen angeboten. Das wurde aber leider nicht angenommen, die Hemmschwelle für Obdachlose, ein gutbürgerliches Lokal aufzusuchen, war einfach zu groß. Ein Jahr später machte ich einen neuen Anlauf und lud Freunde, Bekannte und Kunden zu einem „Essen gegen Kälte“ in den „Fegerer“ ein. Dabei zahlte jeder so viel, wie ihm das Essen wert war. Auf diese Weise kamen 9000 DM zusammen, die damals noch an andere gemeinnützige Organisationen weitergegeben werden mussten. Am nächsten Tag berichtete das Main-Echo über die erfolgreiche Benefizveranstaltung. Dieser Bericht war der Startschuss für den Verein Grenzenlos.
Was ist der Zweck von Grenzenlos?
In den ersten Jahren unseres Bestehens war unsere Hilfe auf die Verbesserung der Lebenssituation bedürftiger Mitbürger beschränkt, indem wir sie mit warmen Essen und alkoholfreien Getränken in unserem Café versorgten und gespendete Lebensmittel in unserem Kaufhaus weitergaben. Inzwischen bieten wir durch die Finanzierung gezielter Nachhilfe an Brennpunktschulen und die Unterstützung des Projektes „Chancenwerkstatt“ Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, aus der Armutsspirale auszubrechen. Auch die Kulturloge und unsere Sozialberatung sind in diesem Zusammenhang zu nennen.
Was bietet Grenzenlos alles?
Wir bieten vier Projekte: das Café, das Kaufhaus, das Kindernest und die Sozialberatung. Das Café Grenzenlos gibt es seit 1998. Dort ist es uns besonders wichtig, dass der Bedürftige im Mittelpunkt steht, dass die Besucher wie in einem normalen Restaurant bedient werden und dort eine Möglichkeit zur Kommunikation haben. Wir bieten täglich 140 warme Mahlzeiten zwischen 40 Cent und zwei Euro und alkoholfreie Getränke an. Unser zweites Projekt ist das Kaufhaus. Dort kaufen täglich bis zu 600 Menschen ein. Auch hier steht die Würde der Menschen, denen wir helfen, im Mittelpunkt. Wir bieten ein „normales Kaufhaus“ mit Bedienung an der Gemüsetheke und der Möglichkeit, die am dringendsten benötigten Lebensmittel auszusuchen. Der Einkaufskorb kostet 50 Cent … auch hier keine Almosen, sondern ein normales „Bezahlen“. In den Korb darf Brot und Gemüse so viel man will, von den anderen Waren fünf Stück. Wichtig ist dabei der Grenzenlos-Pass mit dem der Kunde seine Bedürftigkeit nachweisen muss. Die Bedürftigkeit wird einmal jährlich überprüft. Das Kindernest in der Herstallstraße ist unser drittes Projekt. Dort bieten wir Kurzzeitbetreuung für Kleinkinder an, deren Mütter zum Beispiel einen wichtigen Termin haben. Dort zahlen bedürftige Eltern mit Grenzenlos-Pass vier Euro und alle anderen zehn Euro für drei Stunden Kinderbetreuung. Im Kindernest kümmern sich drei Erzieherinnen um bis zu zehn Kinder. Außerdem gibt es noch die kostenlose Sozialberatung in der Kolpingstraße. Dort bieten wir Beratung und Soforthilfe für alle Menschen in Not an.
Was wollen Sie mit dem Motto von Grenzenlos „wir können die Welt nicht verändern, aber unsere Stadt“ aussagen?
Das Motto soll bedeuten, dass wir versuchen, in unserer Region viel zu bewirken. Die Spendenbereitschaft ist sehr groß. Das liegt sicher auch an der Transparenz, die wir bieten, und an dem Vertrauen der Menschen, dass das gespendete Geld auch da ankommt, wo es hingehört.
Gibt es Grenzenlos nur in Aschaffenburg? Bis wohin helfen Sie Menschen?
Von der Spendenseite her ist auch der Landkreis sehr stark vertreten. Die Nutzer sind vor allem Menschen aus Aschaffenburg.
Wie finanziert sich Grenzenlos?
Wir finanzieren uns zu 90 Prozent aus Spenden. Wir sind unabhängig von Kirche und Stadt. Unser Jahresbudget liegt bei einer halben Million Euro.
Wie viele Menschen arbeiten bei Grenzenlos mit?
Wir haben auf unserer Lohnliste ungefähr 35 Mitarbeiter. Davon rund 20 Bürgerarbeiter, das sind Menschen, die für zwei Jahre fest angestellt sind und eine Förderung bekommen. Außerdem arbeiten bei uns zehn Ein-Euro-Jobber und acht Festangestellte ohne Förderung. Hinzu kommen 15 ehrenamtliche Mitarbeiter in unserem Team.
Wie können Menschen, die helfen wollen mithelfen?
Jeder, der mithelfen will, kann sich in einem unserer Projekte engagieren. Ob im Kindernest, Kaufhaus oder Café, jeder kann sich in dem Bereich einsetzen, den er am besten kann. Die Spenden sind aber die Basis von allem.
Warum braucht es einen Verein Grenzenlos? Es gibt doch staatliche Unterstützung für Menschen die in Not sind.
Als „aktive Bürgerschaft“ setzten wir da an, wo die Hilfe der öffentlichen Träger endet. Wir wollen bei den Menschen, denen es gut geht und die auf der Sonnenseite des Lebens stehen, ein Bewusstsein schaffen, etwas für andere zu tun, zu teilen und damit denen zu helfen, die im Schatten stehen.
Was sind die aktuellen Projekte von Grenzenlos?
Im März dieses Jahres starten wir zusammen mit den Edeka-Märkten der Familie Stenger ein Projekt mit dem Namen „Eins für Grenzenlos“. Außerdem haben wir die Kulturloge, eine Kooperation mit dem Hofgarten und dem Colos-Saal. Dabei gibt es kostenlose Eintrittskarten für Bedürftige. Es handelt sich um ein Projekt gegen kulturelle Ausgrenzung.
Wie viel Zeit verwenden Sie für Grenzenlos?
Es kommt darauf an, bei der Gründung des Vereins und zur Zeit des Kaufhausbrandes war es ein Fulltime-Job, normalerweise sind es circa 12 bis 20 Stunden pro Woche.
Haben Sie Pläne für die Zukunft, wie lange wollen Sie bei Grenzenlos aktiv sein?
Unbegrenzt, so lange wie möglich.
Lieber Herr Kimmich, vielen Dank für das interessante Gespräch.Interview: Christiane Schmidt-Rüppel // Fotos: © Verein Grenzenlos & © Harry Kimmich (privat)
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