Benedict Wells: Hard Land
© Diogenes Verlag AG
Es gibt sie – diese Sommer, in denen das eigene Leben auf den Kopf gestellt wird. Zumindest der 15-jährige Protagonist aus Benedict Wells’ Roman „Hard Land“ macht diese Erfahrung. Der Titel scheint Programm und die Voraussetzungen geradezu ideal. Sam ist ein unscheinbarer Junge aus Grady, einem Ort irgendwo im Nirgendwo von Missouri; wir schreiben das Jahr 1985. Als Außenseiter, ohne Freunde, zudem in Sorge um seine krebskranke Mom, befindet sich Sam in einer existentiell kritischen Phase. Einsamkeit und der nahende Tod der Mutter (von dem wir gleich im ersten Satz erfahren) lagern sich als dunkles Gewölk über die Sommerferien.
Da eröffnet sich ein Schlupfloch aus der Misere. Sam ergattert einen Ferienjob im lokalen Kino, dem einzigen in Grady. Hier arbeitet er Seite an Seite mit dem witzigen Cameron, dem stillen Hightower und der aufregenden Kirstie, in die er sich unweigerlich verliebt. Die anderen Jugendlichen sind etwas älter als Sam und werden am Ende der Ferien Grady verlassen. Dass aus dieser zusammengewürfelten Konstellation ein ansehnliches Kleeblatt wird, hat viel mit gegenseitigem Verständnis zu tun. Die Clique akzeptiert Sam so wie er ist: mit seinen Panikattacken, seiner Introvertiertheit und – vielleicht am schwersten nachvollziehbar – seinen exzellenten Mathe-Kenntnissen.
Am Ende des Sommers wird Sam sich verändert haben. Er wird Grenzen überschritten und sich seinen Ängsten gestellt haben. Und wenn es möglich ist, innerhalb weniger Wochen etwas über die Liebe, das Leben und das Sterben zu lernen – so wird Sam diese Lektion gemeistert haben.
Benedict Wells (Foto: © Roger Eberhard)
Die 80er: Wer sich erinnert, war nicht dabei!
Benedict Wells hat seinem Buch ein Zitat von Ferris Bueller vorangestellt. Ferris wer? Ist doch klar: Ferris Bueller, die Hauptfigur der Highschool-Komödie „Ferris macht blau“ von 1986. Daneben absolviert ein weiterer Star einen kurzen Gastauftritt: Marty McFly, der liebenswerte Zeitreisende aus „Zurück in die Zukunft“, eines der Kino-Highlights des Jahres 1985. Es sind, neben dem eigentlichen Setting, solche Zitate, die den Roman eindeutig als Hommage an die 1980er-Jahre identifizieren. Eine Ära, in der das Thema Erwachsenwerden (auch bekannt als „Coming of Age“) große Popularität im Kino genoss. Es ist keine Pflichtprogramm, diese klassischen Teenager-Komödien zu kennen. Doch wer sie geschaut hat, findet unter Umständen leichter Zugang zu Wells’ Buch.
Es scheint überhaupt typisch für unsere Zeit zu sein, dass sie sich ausgerechnet auf diese Dekade wirft. Zumindest gilt das für Benedict Wells, der 1984 das Licht der Welt erblickte. Doch kann sich der Jungautor nicht nur der Wertschätzung seiner eigenen Altersgruppe sicher sein. Schließlich hält „Hard Land“ auch einen hohen Wiedererkennungswert für diejenigen bereit, die in den 1970ern geboren sind. Diese Generation hat im Teenager-Alter jene Bücher gelesen, jene Filme geschaut, auf die sich Wells beruft. Und Filme sind es in erster Linie, denen „Hard Land“ Tribut zollt. Außer den genannten sei noch „Stand by me – Das Geheimnis eines Sommers“ (1986) erwähnt, basierend auf einer Novelle von Stephen King. In diesem Streifen ziehen vier Kids in den Sommerferien los, um die Leiche eines toten Jungen aufzufinden…
Mit unbeschwerter Leichtigkeit hat Benedict Wells aus all seinen Vorbildern die Quintessenz gewonnen und einen Roman voller Sehnsucht und Hoffnung geschrieben. „Hard Land“ ist ein bewusst nostalgisches Buch, das die Magie des Erwachsenwerdens beschreibt. Freilich, in gewissen Momenten droht es in leicht kitschiges Fahrwasser abzudriften. Doch mit schriftstellerischem Geschick und einer wunderbar leichten Sprache bringt Wells die Erzählung wieder auf den richtigen Kurs. Und so ernst und trist Sams Ausgangssituation auch sein mag, birgt sie doch viel Raum für Situationskomik. Wer jedenfalls etwas über die befreiende Wirkung von Humor lernen möchte, sollte einen Blick in den Roman werfen.
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