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Interview mit Calina Meyer: Ich bin dann auch mal weg... sechs Wochen auf dem Jakobsweg

Seit wenigen Wochen ist sie wieder zurück. Die Aschaffenburgerin Calina Meyer, die diesen Sommer den rund 800 Kilometer langen Jakobsweg gelaufen ist. Im Interview mit uns berichtet die 45-jährige über ihre Erlebnisse auf dem Weg, der in Deutschland vor allem durch das Buch „Ich bin dann mal weg“ von Hape Kerkeling bekannt wurde.


Der Weg ist das Ziel

Frau Meyer, wie sind Sie auf die Idee gekommen, den Jakobsweg zu laufen?

Vor sieben Jahre habe ich das Buch „Ich bin dann mal weg“ von Hape Kerkeling gelesen. Seine Reisebeschreibung hat mich so gefesselt, dass in mir der Gedanke aufkam, auch irgendwann einmal den Jakobsweg zu laufen. Das war damals aber noch nicht konkret. Erst bei einem Hollandurlaub vor zwei Jahren habe ich den Entschluss gefasst. Dazu kam ein Gespräch mit einer Freundin, die den Camino (den Weg) schon gelaufen ist und dann erhielt ich zum Geburtstag einen Pilgerausweis. Von da an gab es für mich kein Zurück mehr.

Wie haben Sie sich vorbereitet?

Ich habe mir den Film „der Weg“ angeschaut, habe Bücher zu diesem Thema gelesen, im Internet recherchiert und mir Vorträge angehört. In den zwei Jahren, seit ich den Entschluss gefasst habe, den Jakobsweg zu laufen, habe ich mich immer wieder mit dem Thema befasst. Hinzu kam noch, dass meine Arbeitgeber mir sechs Wochen Urlaub genehmigen mussten. An dieser Stelle möchte ich auch meinen Arbeitgebern herzlich danken, dass sie mir diese Reise ermöglicht haben. Dann ging es auch schon los mit der Planung: Was nimmt man mit auf eine 800 Kilometer lange Wanderung? Was braucht man, wenn man sechs Wochen unterwegs ist?

Und was haben Sie mitgenommen?

Ich habe mir meine Ausrüstung peu a peu angeschafft, ein paar gute Wanderschuhe sind sehr wichtig. Ich hatte auf der ganzen Reise kein einziges Mal Blasen an den Füßen. Ich habe mir außerdem noch qualitativ hochwertige Funktionsbekleidung zugelegt, die schnell trocknet, da man in den Herbergen öfters Wäsche waschen muss. Was ich noch empfehlen kann ist ein guter Sonnenhut, Wanderstöcke und noch ein paar Ersatzsandalen. Zur Körperpflege hatte ich nur Olivenseife, ein kleines Reise-Deo, Sonnencreme und Hirsch-Talg-Fußcreme dabei. Außerdem noch Kernseife zum Wäsche waschen. Insgesamt hatte meine Ausrüstung nicht mehr als acht Kilo Gewicht. Man glaubt gar nicht, mit wie wenig man auskommt.

Wo sind Sie gestartet? Wie lange waren Sie unterwegs und wie viele Kilometer sind Sie insgesamt gelaufen?

Ich bin den klassischen Jakobsweg wie Hape Kerkeling gelaufen. Das waren 799 Kilometer zu Fuß in 32 Tagen, ohne Pause, auch bei Regen. Gestartet bin ich in Frankreich in Saint-Jean-Pied-de-Port. Zuvor bin ich zehn Stunden mit dem Zug von Aschaffenburg nach Bayonne gefahren, dort habe ich übernachtet und bin dann weiter nach Saint-Jean-Pied-de-Port gefahren. In Bayonne habe ich gleich eine Südafrikanerin kennengelernt. Mit ihr bin ich vier Wochen lang gelaufen und war nicht mehr alleine. Wenn du nicht willst, bist Du auf dem Camino keinen Tag alleine.


Calina Meyer auf dem Jakobsweg

Wie ist es, jeden Tag so viel zu laufen? Haben Sie sich schnell daran gewöhnt oder war es beschwerlich? Hatten Sie auch mal keine Lust zu laufen?

An das viele Laufen gewöhnt man sich nie. Wegen der Schmerzen und der ungewohnten Belastung kam ich oft an meine Grenzen. Ich habe Menschen getroffen, die Schmerztabletten nehmen mussten, weil sie so viele Blasen an den Füßen hatten. Andere konnten wegen starker Knieschmerzen nur noch rückwärts laufen. Man muss sich immer wieder neu motivieren. Und man darf den Weg nicht als Ganzes sehen, sondern es ist wichtig in den einzelnen Etappen anzukommen. Nichts ist selbstverständlich. In den Pyrenäen war das Wetter sehr schlecht. So hatten wir gleich am ersten Tag mit viel Wind, Dauerregen und Feuchtigkeit zu kämpfen. Um 7 Uhr morgens sind wir in der Herberge gestartet und dann 10 Stunden lang durch das Unwetter gelaufen. In solchen Momenten merkt man, wie wichtig der Zusammenhalt in der Gruppe ist. Die ganze erste Woche war hart und körperlich sehr anstrengend. Mehr als einmal habe ich abends gedacht, ich könne am nächsten Morgen nicht mehr weiterlaufen, doch dann spürte ich ihn, den Spirit vom Camino. Und es ging weiter.

Wo haben Sie übernachtet? Bekommt man immer eine Unterkunft?

Ich habe immer in Herbergen übernachtet. Die staatlichen Herbergen kosten zwischen 5 und 7 Euro, die privaten zwischen 10 und 12 Euro pro Nacht. In den staatlichen Herbergen (meistens Klöster oder Kirchen) übernachteten durchschnittlich 20 Personen in einem Schlafsaal. Was sich für mich sehr bewährt hat, waren meine maßangefertigten Ohrenstöpsel Ich hatte in dieser Zeit den erholsamsten und tiefsten Schlaf seit langem. Man grübelt nicht mehr so viel. Auch die körperlichen Beschwerden und Verspannungen von Zuhause waren auf einmal weg. Es war wie eine Befreiung.

Die Herbergen haben immer ab 14 Uhr geöffnet und man ist immer untergekommen, lediglich 150 Kilometer vor dem Ziel musste man die Herberge vorreservieren. Die privaten Herbergen waren übrigens sehr sauber, zwei hatten sogar einen Pool mit dabei. Pilgermenüs, drei Gänge, meist mit einem Glas Wein, gab es für 10 bis 12 Euro in Gaststätten oder in der Herberge. Jede Herberge hat eine Küche. Man hat also auch die Möglichkeit, sich selbst zu verpflegen. Um Verpflegung muss man sich auf diesem Weg keine Sorgen machen.

Sie sind alleine losgelaufen, haben Sie unterwegs viele Bekanntschaften gemacht? Sind Sie oft mit anderen gelaufen?

Ja, ich habe tolle Leute kennengelernt. Die Leute kommen von überall her. Aus Neuseeland, Australien, Korea, Südafrika, viele aus den USA … ich habe auf dem Weg nur zwei Deutsche kennengelernt. Natürlich entstehen dabei auch Freundschaften. Am Ziel haben wir uns alle wieder getroffen. Es war wie eine große Familie.

Jeden Abend um 19 Uhr war Pilgermesse. Dort hat man sich dann wieder getroffen. In einer Kirche haben 50 Leute zusammen gekocht und gegessen, nachdem freiwillige Helfer zuvor eingekauft hatten. Die Feier in dieser Kirche war für mich der emotionalste Moment auf meiner Pilgerreise. In der zweiten Woche habe ich viel geweint. Das Weinen war wie eine Befreiung. Jeder hat auf diesem Weg schon einmal geweint.


Angekommen in Santiago de Compostela

Was hat Sie unterwegs besonders beeindruckt?

Der größte Moment für jeden Pilger ist La Cruz de Fiero auf dem Berg León. Dies ist auch der höchste Punkt auf dem Camino. Symbolisch wird hier für alles, was man hinter sich lassen will ein Stein abgelegt. Es ist die Kombination aus allem, alles ist beeindruckend: Die abendlichen Zusammenkünfte in der Kirche, die spirituellen Erfahrungen, die Begegnungen mit vielen unterschiedlichen Menschen, das Erlebnis der eigenen Leistungsfähigkeit. Man lernt sich auf diesem Weg neu kennen, unentdeckte Eigenschaften kommen zum Vorschein. Man hat das Gefühl frei zu sein, sich selbst näher zu sein. Einfach laufen, nichts vorher planen, das ist das Schöne an diesem Weg. Man kann sich wunderbar treiben lassen.

Was war der schwierigste Abschnitt?

Der schwierigste Abschnitt waren vor allem die ersten zwei Tage in den Pyrenäen bei Wind und Dauerregen. Dort sind auch 22 Personen wegen Unterkühlung ins Krankenhaus gekommen. Ans Aufgeben habe ich aber trotz allem nicht gedacht.

Was hat die Reise Ihnen persönlich gegeben?

Die Reise hat mir persönlich sehr viel gegeben, ich kann klarer sehen, was mir gut tut und was nicht. Ich gehe bewusster mit meinem Körper um. Ich würde den Jakobsweg jedem Menschen empfehlen, egal ob jung oder alt, reich oder arm. In den staatlichen Herbergen gibt jeder so viel wie er persönlich geben kann, ganz nach dem Motto „Gib was du kannst und nimm was du brauchst“. Ich kann Hape Kerkeling nur danken, denn durch sein Buch bin ich darauf gekommen, den Camino zu laufen.

Wie war es, dann endlich am Ziel, in Santiago de Compostela anzukommen?

Schon die letzten drei Etappen waren ein Mix aus Trauer und Vorfreude. Dann in Santiago angekommen kam die Müdigkeit und Erschöpfung und auch ein Gefühl der Leere zum Vorschein.

Würden Sie den Weg noch einmal gehen?

Auf jeden Fall. Ich plane schon den nächsten Pilgerweg zu laufen. Diesmal den portugiesischen, der ist nur 260 Kilometer lang, man kann ihn in zwei Wochen laufen. Man sagt ja, nach zwei Jahren packt einen die Sehnsucht und man möchte wieder los. Durch die Erkenntnisse und Erfahrungen, die ich auf dem Jakobsweg gewonnen habe, hat mein Weg nicht in Santiago geendet, sondern fängt jetzt, zuhause erst an.

Zum Schluss möchte ich noch ein schönes Zitat wiedergeben: „Es gibt tausend Gründe den Jakobsweg zu gehen, und keinen Grund, ihn nicht zu gehen.“ In diesem Sinne wünsche ich allen, die sich auf den Weg machen „Buen Camino“.

Liebe Frau Meyer, vielen Dank für das interessante Interview. (Interview: Christiane Schmidt-Rüppel, Fotos: © Calina Meyer)


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