- Anzeige -
Zur Startseite

Interview mit Stadtdekan Pfarrer Wolfgang Kempf

„Dieser Papst ist ein Glücksfall für die Kirche“: Wolfgang Kempf ist ein echter Aschaffenburger, Jahrgang 1962. Er wuchs in Glattbach auf und besuchte als Schüler das Kronberg Gymnasium. Nach seinem Theologiestudium wurde er 1988 in Münsterschwarzach zum Priester geweiht. Seit 2005 ist Kempf Pfarrer von St. Kilian in Nilkheim. Im Jahr 2009 kam auch St. Laurentius in Leider hinzu und es entstand die Pfarreiengemeinschaft „Am Schönbusch“. Seit 2011 ist Wolfgang Kempf Stadtdekan von Aschaffenburg.

Herr Pfarrer Kempf, Sie sind seit 2011 Stadtdekan von Aschaffenburg. Was tut ein Stadtdekan? Was ist Ihre Aufgabe?

Der Dekan ist vor allem das Bindeglied zwischen den Hauptamtlichen im Dekanat (Seelsorgerinnen und Seelsorger) und der Bistumsleitung. Zweimal im Jahr fi ndet eine Dekanatskonferenz statt. Dabei werden Fragen aus den Dekanaten besprochen bzw. die Bistumsleitung kann Änderungen an die Hauptamtlichen im Dekanat weitergeben. Einmal monatlich gibt es eine Seelsorgekonferenz, bei der alle hauptamtlichen Gemeindemitarbeiter zusammenkommen. Außerdem hat der Dekan verschiedene Vertretungsaufgaben in diversen Stiftungen und Verbänden wie zum Beispiel die Suppenschule, die St. Elisabethstiftung oder das Kuratorium der Telefonseelsorge. Dazu kommen noch diverse Repräsentationsaufgaben, wie die Einweihung und Segnung neuer Straßen und Plätze, die Volksfesteröffnung oder die Ehrenamtsgala.

Wie hat sich die Kirche in Aschaffenburg entwickelt? Sind die Aschaffenburger gute Kirchgänger?

Die Zahl der Kirchenbesucher in Aschaffenburg ist nicht besser und nicht schlechter als anderswo. Sie liegt bei 10%. Wie in allen anderen deutschsprachigen Ländern können wir einen Rückgang sowohl der Gemeindemitglieder als auch der Pfarrer und Gemeindereferenten feststellen. Die Bereitschaft, sich für längere Zeit fest an eine Institution zu binden, lässt nach. Viele Menschen nehmen nur noch bestimmte Angebote in Anspruch, zum Beispiel den Nachmittagsgottesdienst an Heiligabend. Eine hohe Akzeptanz kann man auch bei den Martinsumzügen, Taufen, kirchlichen Trauungen, Erstkommunion und Firmung feststellen. Auch bei Beerdigungen ist die Begleitung durch einen Seelsorger akzeptiert und gewünscht. Grundsätzlich befinden wir uns auf Seiten der Kirche in einer Phase der Neuorientierung. Das klassische Bild der Pfarrfamilie ist im Umbruch, wie das ganze Familienbild an sich. Umdenken ist gefragt. Seelsorge wird nicht mehr nur in den Pfarrgemeinden gemacht. Unser Projekt „Stadtkirche“ hat das Ziel, Kirche an vielen Orten und Einrichtungen erfahrbar zu machen, beispielsweise bei der Bahnhofsmission, dem ökumenischen Kirchenladen, der Telefonseelsorge, der Caritas oder bei der italienischen Gemeinschaft im ehemaligen Kapuzinerkloster.

Sie leiten die Pfarreiengemeinschaft „Am Schönbusch“ St. Kilian –St. Laurentius. Ist das schon eine gewachsene Gemeinschaft? Wie funktioniert sie in der Praxis?

Wir sind auf einem guten Weg, aber sicherlich noch am Anfang eines Weges. Die Pfarreiengemeinschaft wurde im Dezember 2009 errichtet. Wir arbeiten in einem gemeinsamen Pfarrgemeinderat. Wir haben in diesen vier Jahren gute Entscheidungen auf den Weg gebracht. Wir wollen so viel gemeinschaftliches Pfarreileben wie möglich und so viel Individualität wie nötig. Erstkommunion feiern wir getrennt, die Kinder sind noch sehr in ihrer eigenen Pfarrei verwurzelt. Für Festtage haben wir eine gute Regelung gefunden, die Schönbuschprozession an Christi Himmelfahrt steht unter der Regie von St. Kilian, die Fronleichnamsprozession wird von St. Laurentius organisiert. Bei den Hochfesten findet ein jährlicher Wechsel statt. Unser Pastoralreferent ist in Leider als Ansprechpartner vor Ort.

Wollten Sie schon immer Pfarrer werden oder hatten Sie früher einen anderen Berufswunsch?

Schon als kleines Kind habe ich zuhause Gottesdienst gespielt. Nach der Erstkommunion war ich Ministrant, außerdem war ich in der Jugendgruppe der Pfarrei Glattbach aktiv. Als es auf‘s Abitur zuging, stellte sich die Frage nach dem Studium. Geschichte, Journalismus oder Theologie standen für mich zur Wahl. Ein Meditationswochenende kurz vor dem Abitur gab den Anstoß: Nach einem Gespräch mit meinem damaligen Religionslehrer entschied ich mich dafür, ins Priesterseminar einzutreten. Auch die beiden damaligen Heimatpfarrer von Glattbach hatten großen Einfl uss auf meine Berufsentscheidung. Sie waren geprägt vom 2. Vatikanischen Konzil und haben mir ein angenehmes Bild von Kirche vermittelt.

Haben Sie bei all Ihren Aufgaben überhaupt noch Freizeit? Haben Sie Hobbies? Was machen Sie in Ihrer freien Zeit?

Es ist sehr hilfreich, wenn man sich seine Auszeiten gut einplant. 1995 übernahm ich meine erste Pfarrei in Schweinfurt, seitdem nehme ich mir einmal im Monat einen „Oasentag“ in Münsterschwarzach. Dort verbringe ich meine Zeit mit Lesen, Supervision, Gebeten. Ich lebe dort wie die Mönche. Der Mittwoch ist mein freier Tag in der Woche. Diesen Tag versuche ich für meine Freizeitgestaltung zu nutzen, obwohl auch ab und zu mal etwas Unvorhergesehenes dazwischen kommt, beispielsweise eine Beerdigung. In meiner freien Zeit besuche ich gerne mein Elternhaus und halte den Garten in Schuss. Außerdem habe ich einen Freundeskreis, gehe gerne ins Theater und mache Wanderungen im Spessart. Auch das Reisen bereitet mir große Freude, entweder als Städtereise auf eigene Faust oder in der Gruppe mit der Pfarrei. Man muss einfach schauen, was sich zeitlich machen lässt.

Erreichen Sie in Aschaffenburg noch die Jugend? Was wird aus kirchlicher Sicht für die Jugend getan?

In jeder Pfarrei gibt es das Angebot der Ministranten, daran können die Kinder nach der Erstkommunion teilnehmen. Darüber hinaus gibt es für Kinder und Jugendliche ein breites Angebot wie Zeltlager, Ministrantenwochenende, Ostereieraktion und Gruppenstunden in den Pfarreien. Auch außerhalb der Pfarreien wird von kirchlicher Seite Einiges für die Jugend angeboten. Im Juli findet der regionale Ministrantentag im Dekanat Ost statt. Im August begehen die deutschsprachigen Bistümer ihre Romwallfahrt. Ein gutes Angebot findet man auch beim kirchlichen Jugendamt: Das Jugendzentrum „Katakombe“ bietet Fahrten, Kurse und einen offenen Jugendtreff. Wir versuchen schon, die Jugend zu erreichen. Man muss jedoch sagen, dass die Jugendlichen durch das G 8 weniger Freizeit haben als früher.

Was kann Ihrer Meinung nach gegen den Priestermangel getan werden?

Das ist eine sehr komplexe Frage. Es gibt aus den Reformgruppen immer wieder die Anregung, die Zulassungsbedingungen für den Priesterberuf zu verändern – d.h. den Pflichtzölibat abzuschaffen. Aber auch in den anderen pastoralen Berufen können wir einen starken Rückgang feststellen, am Zölibat kann es also nicht nur liegen. Ich sehe einen Zusammenhang mit der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft. Wenn Kinder und Jugendliche das kirchliche Leben in der Familie nicht mehr erleben, geht auch der Wunsch nach kirchlichen Berufen zurück. Ich selbst bin in einem katholisch geprägten Elternhaus aufgewachsen, das gelebte Kirchenjahr war keine Frage und der Besuch des Sonntagsgottesdienstes war selbstverständlich. Ein weiterer Punkt ist, dass sich die Außenwahrnehmung von Kirche verändert hat, was sicher auch an den Missbrauchsfällen oder am Umgang der Kirche mit Geld liegt. Man kann sagen, dass generell im deutschsprachigen Raum Berufe der Kirche rückläufig sind. Noch in den 40er und 50er Jahren war ein kirchlicher Beruf auch eine soziale Absicherung, doch durch den gesellschaftlichen Wandel fällt auch dieser Faktor weg.

Was sagen Sie zum neuen Papst Franziskus? Wird Geld in unserer Gesellschaft zu wichtig genommen?

Im Moment ist er ein Glücksfall für die katholische Kirche. Er bricht in seiner ganz unkonventionellen Art vieles auf und stellt in einer sehr angenehmen Weise vieles in Frage, was zum Umfeld eines Papstes gehört. Er macht ganz neu bewusst, worauf es uns als Kirche ankommen muss. Er zeigt große Authentizität, Reden und Handeln passen zusammen. Auch seine Betonung einer armen Kirche drückt aus, dass die Botschaft Jesu das Wesentliche ist.

Was würden Sie sich von der Stadt Aschaffenburg für die Kirche wünschen? Wo könnte die Stadt die Kirche mehr unterstützen?

Die Zusammenarbeit zwischen der Stadt Aschaffenburg und den Kirchen ist vollkommen unproblematisch. Wir erhalten Unterstützung bei Bauten oder bei der Renovierung von Kirchen. Einen Termin beim Oberbürgermeister zu bekommen, ist völlig unproblematisch. Wir sind natürlich auch bemüht, bei wichtigen Themen eine Vernetzung zwischen Kirche und Stadt herzustellen. So gab es zum Beispiel im November eine Zusammenkunft von Stadtrat und Kirchenvertretern zum Thema „Kinderarmut in Aschaffenburg“, dabei fand ein Austausch über Angebote der Stadt und der Kirche statt.

Sollte die Stadt mehr für Familien mit Kindern tun?

Ich habe den Eindruck, dass die Stadt sehr viel für Familien mit Kindern tut. Unter dem Begriff „soziale Stadt“ sollen einzelne Quartiere wie zum Beispiel das Hefner-Alteneck –Viertel von der Infrastruktur her verbessert werden. Auch in Nilkheim soll noch mehr sozialer Wohnungsbau entstehen. Ich meine, die Stadt hat die Thematik im Blick, auch in punkto Krippenplätze und Angebote für junge Familien ist die Stadt sehr wach und rege.

Gibt es noch etwas Wichtiges, was Sie unseren Lesern mitteilen wollen?

Ich hätte den Wunsch, dass die Aschaffenburger oder auch die Menschen aus der Region das Angebot, das wir von kirchlicher Seite haben, wohlwollend zu Kenntnis nehmen. Wir arbeiten mit unserer Seelsorge an der Basis und machen in diesen Bereichen eine gute Arbeit und es wäre schön, wenn das noch von mehr Menschen wahrgenommen würde. Die Kirche ist besser als ihr Ruf, trotz der Skandale in den vergangenen Jahren.

Sehr geehrter Herr Pfarrer Kempf, vielen Dank für das interessante Interview. (Christiane Schmidt-Rüppel)
Gepostet in:
- Anzeige -